Als Kinder haben wir unsere Sommerferien immer im Allgäu bei unseren Großeltern verbringen dürfen. Für meine Brüder und mich als norddeutsche Flachlandtiroler ein Highlight des Jahres. Die 9-stündige Autofahrt war zwar nicht der Brüller, aber mit Spielen wie Autokennzeichen raten haben wir die Tour ziemlich gut über die Runden bekommen.
Unser Opa war immer viel unterwegs. An den Wochenenden war er meistens mit seinem Wanderverein auf Tour. In Bayern finden von Frühjahr bis Herbst unzählige Volksläufe statt. Waren wir in den Ferien da und es standen wieder Wanderungen an, hat er uns immer mitgenommen. Das war total super. Ich erinnere mich an einen Volkslauf, der am Lech entlang ging. Gemeinsam wanderten wir mit Opa durch den kühlen Wald, rechts neben uns rauschte der Fluss und nach 15 bis 20 km hatten wir das Ziel erreicht. Zur Belohnung gab es Traubenzucker, Tee und einen Siegerteller. Keine Ahnung wieviele Siegerteller wir über die Jahre angesammelt haben. Aber es war immer eine tolle Erinnerung an die jeweiligen Sommerferien.
Im letzten Jahr fragte mein großer Bruder an, wer Lust hätte, gemeinsam mit ihm am 06.06.2020 den Megamarsch Bremen 2020 zu bestreiten. Nachdem ich mir kurz die Renninfos durchgelesen habe, war ich sofort dabei. Das wäre wie früher in den Sommerferien gewesen. Nur sollten nun mein großer Bruder und ich gemeinsam wandern. Opa würde es freuen, dass wir an seinem Geburtstag solch eine Wanderung unternehmen.
Unser geplanter Heimaturlaub würde genau in die Zeit fallen und 50 km rund um Bremen zu marschieren würde bestimmt spaßig werden. Zumal wir in der Gruppe marschieren würden. Also startete jeder individuell mit seinem Training. Die Gruppe um meinen Bruder in Delmenhorst und Umzu und ich in Miami. Über WhatsApp haben wir uns gegenseitig motiviert und ausgetauscht. Das Training lief gut. Dann kam Corona und stellte alles auf den Kopf. Laufveranstaltung um Laufveranstaltung wurde abgesagt. Der Juni rückte immer näher. Irgendwann war klar, dass auch der Megamarsch Bremen in der geplanten Form nicht stattfinden würde. Auch unser Urlaub fiel Corona zum Opfer.
Die Veranstalter waren sehr bemüht, alle Teilnehmer immer auf den Laufenden zu halten. Als Alternative wurde der Megamarsch Spezial #wir gehen weiter als virtueller Marsch ins Leben gerufen. Dieser findet am 20.06./21.06. bzw. am 08.08./09.08. statt. Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahlen wurden 2 Termine angeboten. Für mich war klar, dass ich den früheren Termin nehmen würde. Die Temperaturen hier in Miami sind jetzt schon grenzwertig, so dass ein späterer Zeitpunkt auch aufgrund der anstehenden Hurricane-Saison nicht gut gewählt wäre.

Wetter am 06/06/2020
Aber für mich stand auch fest, dass ich die 50km am 06.06. marschieren wollte. Mein Opa wäre an dem Tag 93 Jahre alt geworden. Und wenn schon wandern, dann doch an einem solch speziellen Tag. Schließlich hatte auch das Veranstaltungsdatum mit dazu beigetragen, dass ich mich für den Marsch angemeldet habe.
Nach dem die Corona-bedingte nächtliche Ausgangssperre aufgehoben wurde, war mein Plan, aufgrund der hohen Temperaturen morgens um 3 Uhr zu starten. Dann aber kam der gewaltsame Tod George Floyds und die damit verbundenen landesweiten Proteste auch hier in Miami. Wieder wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, die auch immer noch andauert.
Das bedeutete aber auch, dass ich erst um 6 Uhr würde starten können. Freitag Abend habe ich alles bereit gelegt. Die Vorbereitungen für einen solchen Marsch sind ähnlich denen für eine Laufveranstaltung. Die richtigen Klamotten müssen rausgelegt, Getränke vorbereitet, Akkus geladen und Gels eingepackt werden.
Der Wecker klingelte um 4.30 Uhr. In aller Ruhe bin ich aufgestanden, habe meinen Kaffee getrunken, Zeitung gelesen und mich dann für den Marsch fertig gemacht. Pünktlich um 6 Uhr habe ich das Haus verlassen.

MainHwy/Coconut Grove
Mein Weg führte mich als Erstes von Coconut Grove Richtung Key Biscayne. Aufgrund des späteren Starts hatte ich mir überlegt, erst den längeren Teil mit der Brücke Rickenbacker Causeway zu absolvieren. So hätte ich den schwierigeren Part vor der Mittagshitze hinter mich gebracht. Nach den ersten 6 km schloss sich mir meine Laufpartnerin Vicky an.

Running partner in crime 🙂
Eigentlich wollte sie nur die Brücke mit mir walken. Das Wetter am Morgen war super gnädig mit uns. Es ging eine wunderbare Brise und der Himmel war bewölkt. Perfektes Wetter also um den Rickenbacker Causeway zu bezwingen. Die Hintour über die Brücke verging wie im Flug. Vor uns wanderte noch eine Gruppe Jugendlicher, die wir aber recht schnell hinter uns liessen.
Vorbei am Miami Seaaquarium und der Marina wechselten wir die Straßenseite, um den alten Naturtrail Richtung Key Biscayne zu nutzen. Unser Weg wurde gesäumt von Spaziergängern, Radlern, Schlangen und auch Leguanen.
Florida hat eben so einiges zu bieten.
Bei km 15, wir hatten mittlerweile den North Beach erreicht, kehrten wir um. Nachdem wir die Brücke auf dem Rückweg hinter uns gelassen haben, haben Vicky und ich uns getrennt. Sie hat sich auf den Weg nach Hause gemacht und ich bin weiter Richtung Brickell gewandert. Ganze drei Stunden hat sie mich begleitet. Ich bin so dankbar für ihre Unterstützung.
In Brickell selbst ging es erst die Brickell Avenue entlang, bevor ich dann in die SE 15th Road abgebogen bin, um ein wenig am Meer entlang zu wandern. Mit der Meeresbrise in der Nase ging es gleich viel leichter. Und wie gern hätte ich mal kurz die Füsse ins Wasser gehalten?!
Bei km 25 habe ich einen kleinen Supermarkt angesteuert und habe mich mit neuen Kaltgetränken und einem Proteinriegel versorgt. Puhhhh, die Abkühlung tat echt gut. Auch mein Wasser im Trinkrucksack habe ich nachgefüllt. Schließlich hatte ich noch ein bisschen Weg vor mir. Aber hey, die Hälfte war schon geschafft. Das ging irgendwie schneller als ich gedacht hatte. Zurück ging es dann wieder über die Brickell Avenue.
Vorbei an Vizcaya, dem Mercy Hospital, durch den Kennedy Park hin zur zweiten Pause in Coconut Grove.

Im Park mit Maske
Diese Pause machte ich bei km 34. Da waren 6 Stunden rum und ich wieder zuhause angekommen. Perfekt geplant für eine Pipi-Pause und Klamottenwechsel. Himmel war das schön, ein trockenes T-Shirt anzuziehen. Auch der Schuhwechsel war extrem gut für die Füsse. Jetzt sollten die letzten 16 km doch zu knacken sein. Weiter ging es also Richtung Coral Gables. Mit dabei – mein Ehemann auf dem Fahrrad. Psychologisch war das extrem wichtig für mich, die letzten Kilometer nicht allein zu sein. Von Kilometer zu Kilometer wechselten sich nämlich die gedanklichen Hochs und Tiefs ab.

Mein Lieblingsmensch
Immer wieder wanderte mein Blick zum Mobiltelefon. Mit Strava zeichnete ich die Wanderung auf. So konnte ich immer gut ablesen, wie weit ich bereits gekommen war. Nach über 6 Stunden Aufzeichnung musste ich dann mal fix die Powerbank anschliessen, da der Akku bereits ein wenig gelitten hatte. Nicht das am Ende das Telefon leer gelutscht wäre und die Aktivität nicht aufgezeichnet werden konnte. Das wäre der absolute Alptraum. Aber dafür hatte ich extra zwei leichte Powerbanks eingepackt. Sicher ist sicher!
Mittlerweile hatten sich die Wolken vom Morgen verzogen und die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel. Die Entscheidung, erst nach Key Biscayne dann nach Coral Gables zu wandern, sollte sich als absolut richtig herausstellen. Unser Weg führte uns über den Edgewater Drive rein nach Coral Gables.
Entlang des Sunset Drives marschierte ich also weiter, rein in die ruhige Nachbarschaft von Coral Gables rund um die 58th Ave und vorbei am Dison Park.
Als ich die 42 km-Marke erreicht hatte, kehrten wir um. Nur noch 8 Kilometer! Die Beine machten sich immer mehr bemerkbar. Umso wichtiger das mein Mann dabei war und wir uns über Gott und die Welt unterhalten konnten. Das lenkte ab. Die Beine meldeten sich. Der Kopf war mittlerweile auch müde und ich musste den Fokus immer wieder auf die fast geschafften 50 Kilometer lenken. Als wir zurück auf dem Sunset Drive waren, haben wir uns noch schnell eine Stärkung in Form eines Smoothies geholt. Damit sollten wir die letzten 5 Kilometer locker überstehen.

Sooo lecker und herrlich kühl! 🙂
5 Kilometer können aber auch ganz schön lang werden. Zur Motivation musste ich immer wieder auf´s Telefon schauen und die noch verbleibende Distanz ausrufen. Als wir endlich zuhause angekommen sind, musste ich tatsächlich noch eine Schlussrunde im Garten drehen. Am Ende standen 50,0 km in 9 Stunden und 6 Minuten auf der Uhr und ich hatte meinen Megamarsch absolviert. 🙂
Klar starte ich auch am 20.06./21.06. Da werde ich die Distanz jedoch ganz entspannt auf zwei Tage verteilen.
Mein Fazit: Die 50 km in eins durch zu marschieren, war eine tolle Erfahrung. Ich habe meine Grenzen wieder ein wenig verschoben. Und wieder ein Mal hat mir dieser Marsch gezeigt, dass meine Beine viel mehr Anerkennung verdienen, als das sie nur auf das Lipödem reduziert werden. Sie stehen fest auf dem Boden, sind stark und lassen es zu, dass ich immer wieder Neues ausprobieren kann. Daher bin ich einfach dankbar, für jeden einzelnen Schritt. Und ich freue mich jetzt schon auf das nächste Abenteuer! Was das sein wird? Weiss ich noch nicht. Aber es wird bestimmt was Spannendes kommen.
Viele Grüße,
Eure Yvonne
Wow toll geschrieben. Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen👍🏻. 50km ist schon ne ordentliche Hausnummer und dein Opa (wo immer er gerade ist 🌈) ist bestimmt mega stolz auf dich. Also herzlichen Glückwunsch zum Finish. Und meinen allergrößten Respekt 💪
Vielen lieben Dank. Es war auch eine tolle Erfahrung. 🙂