Essen ist meine Schwäche. Ach, es gibt so viele leckere Sachen. Manches landet gefühlt jedoch nur durch bloßes Anschauen schon auf meinen Hüften bzw. Beinen.
Während meines Urlaubes in Deutschland hatte ich einen Termin bei einer Ernährungsberaterin. Sicherlich hätte ich das auch hier in Miami machen können, aber bei wichtigen Dingen kommuniziere ich lieber in meiner Muttersprache. Eine Stunde haben wir also über Essen, Essverhalten, Stärken und Schwächen beim Essen geredet. Es gehört schon sehr viel Mut dazu, sich zum ersten Mal einer völlig fremden Person zu öffnen und sich dabei auch seine eigenen Schwächen einzugestehen. Aber seit mehr als eineinhalb Jahren bin ich nun in dem Prozess der Selbstreflexion und ich merke, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dieser Termin war nur ein weiterer Schritt, der mir hilft, mit dem Lipödem besser klarzukommen und vor allen Dingen ohne OP ein relativ normales Leben zu leben.
In der Analyse ging es erstmal um das normale Essverhalten. Da stellte sich mir schon die erste Frage: habe ich ein normales Essverhalten? Nein, habe ich nicht. Denn seit der Diagnose im November 2017 bin ich auf der Suche nach der optimalen Ernährungsform für mich. Ich bin verunsichert, was das Essen angeht. Sicherlich muß ich nicht jeden Ernährungstrend oder jede Diät mitmachen, der heutzutage medial verbreitet wird. Dennoch schaut man gerade als Frau genauer hin und überlegt doch immer wieder, ob es nicht doch helfen würde, wenn man diese oder jene Ernährungsform bzw. Diät mal ausprobieren würde. Das so etwas immer mit Stress für den Körper einhergeht, ist logisch. Was ich aber erst seit dem Lesen des Buches von Isabel García „Lipödem – Ich bin mehr als meine Beine“ so richtig verstanden habe, jegliche Form der Diät ist Gift für meinen Körper und für mein Lipödem.
Weiter ging es mit der Einschätzung des Hunger-, Sättigungs- und Völlegefühls. Manch einer der diesen Beitrag jetzt lesen wird, wird sich denken: was ist eigentlich das Problem? Schließlich hat doch jeder ein normales Sättigungsgefühl, richtig? Meine Antwort darauf: NEIN!!!! Ich habe irgendwann dieses Gefühl verloren. Das hängt natürlich mit dem überdimensionalen Angebot an Lebensmitteln aber auch viel mit den täglichen Essgewohnheiten zusammen. Zum Beispiel weiss ich von mir, dass ich viel zu schnell esse. Daraus ergibt sich automatisch, dass ich auch zuviel esse. Denn würde ich langsamer essen, würde ich auch das Sättigungsgefühl spüren. Spüre ich aber nicht. Ich höre auf zu essen, wenn ich merke, der Bauch ist voll. Und da ist er schon zu voll. Ich muss also lernen, wesentlich langsamer zu essen. Auch muss ich mich disziplinieren und nicht immer am Schreibtisch zu essen und nebenbei weiterzuarbeiten. Also mehr Achtsamkeit muss ich in meinen Tagesablauf einbringen.
Spannend war, mir Gedanken darüber zu machen, wo ich die Gefühle Hunger/Durst/Satt/Völle im Körper merke. Das war im ersten Moment gar nicht so einfach und ich musste ernsthaft überlege, wie und wo ich diese Gefühle spüre. Vieles spielt sich bei mir im Kopf ab. Zum Beispiel war ich mit Freunden im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven (absolut empfehlenswert!). Davor wurden im Hafengebiet gerade die Buden für das Seestadtfest aufgebaut und es roch verführerisch nach gebrannten Mandeln. Wäre die Bude zu diesem Zeitpunkt geöffnet gewesen, ich hätte mir glatt eine große Tüte gebrannte Mandeln gekauft, obwohl ich gar nicht hungrig war. Ich muß wieder lernen, meine Gedanken besser zu kontrollieren. Das ich mit Meditation angefangen habe, hilft mir dabei. Während der Meditation lerne ich, Gedanken aufkommen zu lassen, sie zu akzeptieren und im gleichen Atemzug weiterziehen zu lassen. Wenn mir das mit dem Essen gelingt, sprich also wenn mein Gehirn mir mal wieder suggeriert „das ist lecker, ich will das haben“, obwohl ich gar nicht hungrig bin, dann wäre ich schon einen großen Schritt weiter. Auch muß ich meinen Trotzkopf besser unter Kontrolle haben. Denn wenn jemand zu mir sagt: „Das ist nicht gut für Dich.“ – greife ich erst recht zu. Auch wenn ich tief in mir drinnen weiß, dass derjenige Recht hat.
Wenn ich also 100%ig ehrlich zu mir selbst bin, kann ich meine Schwächen ganz gut benennen.
Aber wie kriege ich nun mein Essverhalten in die richtigen Bahnen gelenkt? Über die nächsten 14 Tage werde ich ein Ernährungsprotokoll führen. Zusätzlich muß ich über 5 Tage aufschreiben
- wie mein Gefühl beim Essen war,
- warum ich gegessen haben,
- wieviel Zeit ich mir zum Essen genommen habe und
- wie mein Sättigungsgefühl nach der Mahlzeit war.
Die Ergebnisse werde ich dann an die Ernährungsberaterin schicken. Nach ihrer Auswertung werden wir anschließend ein für mich alltagstaugliches Konzept entwickeln mit den Lebensmitteln, die für mich gut verträglich sind. Derzeit testen mein Mann und ich zum Beispiel verschiedene Mehlsorten aus, die glutenfrei sind. Ich bin gespannt, was für Brote wir daraus zaubern werden. Milch- und Joghurttechnisch bin ich mit den Produkten aus Mandeln super zufrieden. Die vertrage ich und wenn mal im Rührei normale Milch verwendet wird, kann mein Körper das ganz gut aushalten.
Für den Anfang habe ich erstmal Vorschläge zur Orientierung für eine ausgewogene Ernährung erhalten, an der ich mich die nächsten Wochen so gut es geht halten werde. Endlich ist es mal eine Aufstellung, mit der man auch vernünftig arbeiten kann. Während die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) immer von einer Handvoll hiervon und zwei Handvoll davon redet, hat mir die Ernährungsberaterin ein Blatt an die Hand gegeben, wo klar gelistet ist, wieviel von was in Grammzahlen oder bei Getreideprodukten z. B. bei Brot in Scheiben ich täglich zu mir nehmen soll.
Voller Zuversicht gehe ich also in die nächsten Wochen und bin gespannt, wie sich mein Ernährungsweg in naher Zukunft gestalten wird. Ich weiß auf jeden Fall, mir professionelle Hilfe zu holen und mir meine Schwächen einzugestehen, ist definitiv der richtige Schritt. Normalerweise bin ich jemand, der seine Kämpfe immer allein austrägt. Aber manchmal muß man einfach feststellen, dass es ohne Hilfe von Außen nicht funktioniert.
Und wie sagte Ernst Ferstl (österreichischer Dichter) so schön:
„Wer zu seinen Schwächen steht, kann besser mit seinen Stärken umgehen!“
Viele Grüße,
Eure Yvonne
Du schriebst sehr gut….ich habe mich sehr erfreut das zu lesen…Essen ist meine Schwäche auch…mit dem Thema langsam essen bin ich völlig einverstanden auch…ich esse vielmals meine Emotionen zu füttern mehr als mein Bauch😉…alles gute und viel Erfolg bei deiner Ernährungseelebnisse…liebe Grüße aus Indien zwar Mumbai
Liebe Shwetha,
der 1. Schritt ist gemacht: seine Schwäche zu erkennen. Jetzt heißt es, daran arbeiten und die Schwäche in eine Stärke umwandeln. Wir schaffen das!
Liebe Grüße,
Yvonne
Ich esse auch tendenziell zu schnell, auch wenn es besser wird. Mit Diäten habe ich es allerdings nicht versucht – ich bemühe mich, lieber den Weg insgesamt zu verändern. Am Schreibtisch zu essen habe ich mir auch abgewöhnt – ich gehe Mittags lieber eine Runde laufen – oder mit den Kollegen essen.
Im Moment funktioniert es sehr gut, zumal ich mit dem sehr sättigenden Frühstück aus Kleien, Samen, Körnern und dergleichen über den Tag komme. Allerdings war mein Hauptregulator eher der Verbrauch als die Zufuhr …
Den Weg ändern – das ist es, was ich jetzt dauerhaft versuche.
Letztlich bringt nur eine Diät, die man auf Dauer durchhalten kann, will und wird, etwas – und unser Diät-Verständnis ist irgendwie ein Sprint mit anschließendem Rückfall zur Couch-Potato, um ein Laufbeispiel zu verwenden – funktionieren wird dauerhaftes Ausdauertraining, das man auch dauernd durchhalten kann.
Ich nenne es nicht Diät sondern ausgewogene Ernährung, die alltagstauglich ist.
Genau das meine ich 🙂 Sollte auch keine Belehrung sein – nichts liegt mir ferner.
Ist auch gar nicht so angekommen. 😉