Was am Anfang wie eine Schnapsidee anmutete (meinem großen Bruder sei Dank), ist mittlerweile zu einer neuen Leidenschaft neben dem Laufen geworden. Denn eigentlich wollte ich den sogenannten Megamarsch nur einmal machen als Ersatz für das ausgefallene Live-Event in Bremen. Schließlich war das Ticket bereits gekauft und verfallen lassen wollte ich es nicht.
So startete ich also im Juni 2020 zum ersten Mal über die 50km. Nachdem ich im Training die Distanz an einem Tag absolviert hatte, stand für das eigentliche Event eine Zweiteilung der Strecke auf dem Plan. Mental war die Herausforderung an zwei Tagen zu marschieren eine ganz andere, was mich auch an Tag zwei einiges an Motivation kostete, die noch fehlenden 20km zu absolvieren. Aber ich habe es durchgezogen und am Ende mit 50,7km auf der Uhr den Marsch beendet. Danach sollte Schluss sein mit dem Ausflug in die Wanderwelt.
Irgendwie hat das Ganze aber eine Eigendynamik bekommen. Angefangen hat es wohl mit der WhatsApp-Gruppe von Wanderfreudigen, die so wie ich an dem 1. virtuellen Marsch teilgenommen hatten. Diese Gruppe war einfach klasse und zeigt, wie Zusammenhalt auch virtuell funktionieren kann. Über einen Link, der auch bei Facebook in der geschlossenen Megamarsch-Gruppe veröffentlicht wurde, konnte man diesem WhatsApp-Zirkel beitreten. In der Gruppe wurde jeder angefeuert, unterstützt und motiviert, egal ob per kurzer Nachricht oder per Sprachnachricht oder per Video. Das war schon sehr besonders. Man hat sich unterwegs nie allein gefühlt und irgendwie war man auch traurig, als das Event vorbei war und die Gruppe sich dann quasi auflöste.
Als dann aber das Team Megamarsch ankündigte, dass es einen zweiten virtuellen Megamarsch geben würde, war für mich klar, dass ich auch wieder dabei bin. Mir hat das ganze Event im Juni so gut gefallen, dass ich mich dann auch direkt für Teil 2 angemeldet habe. Im August hieß es also zum zweiten Mal Megamarsch-Spezial „Wir gehen weiter“. Wie es mir dabei erging, könnt Ihr gerne nochmal in meinem Artikel „Ooops I did it again“ nachlesen. Zusammen mit meiner Lauffreundin Vicky habe ich an dem wohl heißesten Tag im August die Strecke von 51,9km abgerissen. Ja, und auch hier war die WhatsApp-Gruppe ein  ziemlich großer Rückhalt und Motivator.
Was aber beim 3. virtuellen Marsch abging, hat alles vorherige definitiv in den Schatten gestellt. Aus einer WhatsApp-Gruppe wurden virtuelle Wanderbuddys – auch die MEGA-Schlümpfe genannt. Aus einem Chatverlauf heraus entstand nämlich die Idee, als Erkennungszeichen einen Schlumpf mit dabei zu haben. Ok, das außer mir noch jemand in Miami am Megamarsch teilnehmen würde  war wohl nicht zu erwarten. Aber jeder, der in der Gruppe war, bekam eine Nummer oder auch direkte Schlumpfnamen. Ja, ein bisschen verrückt sind wir. Aber sich nicht immer allzu Ernst zu nehmen, tut doch auch mal ganz gut.

Mein Erkennungs-Schlumpf bei km 10

Jeder für sich aber dennoch gemeinsam haben wir Schlümpfe (ich Schlumpf Nr. 17 oder auch Florida-Schlumpf genannt) uns auf diesen Marsch vorbereitet. Wir haben zusammen virtuell in verschiedenen Teams die Nordsee-Challenge und auch noch die Königstour durch Deutschland absolviert, haben immer wieder Gruppenmitglieder angefeuert, die bei einem Live-Event gestartet sind und uns gegenseitig Tipps und Tricks gegeben für den bevorstehenden Marsch.
In der Zeit vom 25.09. bis 04.10.2020 fand er nun statt der 3. virtuelle Megamarsch Spezial Wir gehen Weiter. Wie auch bei den zwei Events zuvor galt es, die 50km in 12 Stunden innerhalb von 48 Stunden oder die 100 km in 24 Stunden innerhalb von 48 Stunden zu marschieren. Ich hatte mir wie die Male zuvor die 50km vorgenommen. Mein Plan war direkt am 25.09. nach der Arbeit los und die Strecke in eins durch zu marschieren. Das hatte beim 2. Marsch so super geklappt, dass ich es diesmal genauso machen wollte. Los gehen sollte es um 13 Uhr. Leider musste ich an diesem Tag länger im Büro bleiben, so dass ich erst um 14.45 Uhr starten konnte. An sich wäre das kein Problem gewesen, nur gilt hier in Miami immer noch eine Ausgangssperre, was für mich bedeutete, die 50 km nicht an einem Stück marschieren zu können. Also Plan kurzerhand umgeschmissen und doch an zwei Tagen marschieren.

Startklar 🙂

Mit Schlumpf am Rucksack ging es also von Downtown Miami über den Venetian Causeway nach Miami Beach. Das Wetter war super. Bewölkt und nicht ganz so heiß wie beim letzten Mal. Die ersten Kilometer liefen wie von alleine. Könnte an den Walking-Sticks gelegen haben, die ich zur Unterstützung diesmal dabei hatte, um das Anschwellen der Finger zu vermeiden. Am South Beach angekommen hab ich nach zehn Kilometern die erste Pause gemacht. Ein paar Datteln mit Kokosflocken umhüllt als Snack plus ein Elektrolyte-Getränk reichten aus. Außerdem fing es zu regnen an, so dass ich nicht wirklich lange pausieren wollte. Die nächsten Kilometer begleitete mich also typisches norddeutsches Schmuddelwetter. Ich muss nicht erwähnen, dass mein Herz aufging und ich grinsend durch die Gegend wanderte. Ein paar Passanten schauten schon etwas verwirrt, dass ich so freudestrahlend unterwegs war. Mir war das egal. Ich liebe dieses Wetter und hab es genossen.

Skyscraper Downtown Miami

Miami Beach im Regen – love it!

Bei km 15 passierte ich am Southpoint Park ein Restaurant und eine Dame, die gerade zum Rauchen ging, fragte mich, ob ich in Utah sei. Wegen der Walking-Stöcke! Nee, natürlich nicht. Aber ich hatte irgendwie keine Lust zu erklären, warum ich also mit Stöcken unterwegs war. Also hab ich nur freundlich gegrüßt und bin weiter marschiert. Der Regen liess langsam nach und auch die Sonne traute sich nochmal raus, als ich über den MacArthur Causeway zurück nach Downtown ging. Bei km 20 habe ich mal kurz den CVS bei uns ums Eck vom Büro gestürmt und mir eine kalte Cola gegönnt. Irgendwie war es trotz Regen noch recht warm und der Körper schrie förmlich nach Abkühlung. Der erste Schluck war die reinste Wohltat. Wäre ich eine Comic-Serie hätte man in diesem Moment genau gesehen, wie Dampfschwaden aus meinem Körper schossen als die kalte Flüssigkeit langsam die Speiseröhre hinunter stürzte. Also ich konnte sie definitiv sehen! 😉

Southpoint Park

Zum Greifen nah

Auf dem Weg zurück nach Downtown

Blick auf die Skyline von Miami

Nun standen noch zehn Kilometer auf dem Programm. Von Downtown ging es nach Brickell und das bedeutete, Masken aufsetzen da noch viele Menschen unterwegs waren. Es gibt in Großstädten eben Ecken, wo es nicht möglich ist, den vorgeschriebenen Mindestabstand einzuhalten. Also fix Maske auf und weiter ging es.
Langsam verabschiedete sich der Tag und es wurde dunkel. Diese schönen langen Sommerabende, wie wir sie in Deutschland kennen und lieben, gibt es hier leider nicht. Aber gut ausgestattet mit Taschenlampe und gut sichtbaren Reflektoren an der Kleidung kommt man ganz gut klar. Zumal es auch ausreichend Straßenbeleuchtung gibt. Je näher ich Coconut Grove kam, um so weniger wurde es mit dem Feierabend-Verkehr und auch die Bürgersteige leerten sich allmählich, so dass ich die Maske wieder abnehmen konnte. Über die South Miami Avenue ging es für mich Richtung Kennedy Park. Grossartig Pause machen wollte und musste ich auch nicht mehr. Ich fühlte mich gut und wäre die Ausgangssperre nicht, hätte ich wohl auch die 50km in eins durchgewandert. So aber drehte ich noch eine Extra-Runde durch den Kennedy-Park und den Hafen von Coconut Grove das ich wenigstens mehr als 30 km bereits in der Tasche hätte, wenn ich zuhause ankam. Bei Kilometer 32 habe ich auf STOP gedrückt. Ziel Nr. 1 war erreicht. Am nächsten Morgen sollte es weitergehen.
Aus dem Morgen wurde erstmal nix. Meine Beine wollten nicht so ganz wie ich. Das lag aber weniger an den Kilometern vom Vortag. Mein Lipödem machte sich seit langem mal wieder bemerkbar. Leichten Berührungsschmerz fühle ich jeden Morgen, wenn ich aufstehe. Aber dieses Mal war es echt unangenehm und ich hätte an die Decke gehen können. An Marschieren war erstmal gar nicht zu denken. Also habe ich den Tag ganz sinnig begonnen und für mich entschieden, erst später los zuwandern. Um mich abzulenken, hatte ich begonnen Koffer zu packen. Wir wollten am folgenden Tag nach Georgia in einen Nationalpark fahren. Ein paar Tage mal raus und die Seele baumeln lassen. Darauf hatte ich mich schon lange gefreut. Der Vormittag flog nur so dahin und irgendwann spürte ich jetzt geht’s. Also habe ich mich umgezogen und bin aufgebrochen zu den letzten 18 Kilometern. Mein Plan war es, bis zum Sea Aquarium Miami zu wandern, dort eine kurze Pause einzulegen und dann wieder  zurück zu wandern. Meistens kommt es ja immer anders. So auch dieses Mal. Ich bin also bepackt wie immer losgestiefelt. Auch an diesem Tag war das Wetter anfangs super.

Wetter super, Laune super!

Als ich dann auf den Rickenbacker Causeway bog, hab ich schon die dunklen Wolken gesehen und den Donner gehört. Bloß jetzt kein Gewitter schoss es mir durch den Kopf. Der Regen war mir egal, nur Blitz und Donner wäre echt uncool gewesen. Die Wolken zogen rasch Richtung Key Biscayne und das Gewitter blieb zum Glück aus. Meinen Mitschlümpfen in Deutschland erging es ähnlich. Regen, Regen, Regen. Und auch hier hatte es der Regen in sich. Es dauerte keine zwei Minuten, da war ich patschnass. Die Tropfen waren gefühlt Tennisball groß. Da ich mitten im Anstieg auf der Brücke war, machte es keinen Sinn umzudrehen. Nass war ich sowieso. Also stapfte ich fröhlich weiter, denn schließlich wollte ich zum Sea Aquarium. Die Brücke liess ich hinter mir. Der Regen prasselte unaufhörlich nieder und zu guter Letzt stand auch noch der Fussweg komplett unter Wasser. Ich watete also durch knöcheltiefe Pfützen, erinnerte mich an meine Kindheit auf dem Land, wie wir immer schön in die Pfützen gesprungen sind. Was unsere Eltern damals zur Verzweiflung getrieben hat, besonders sonntags mit den guten Klamotten, habe ich an diesem Samstag einfach nur genossen. Diese kleinen kostbaren Momente machen das Leben so lebenswert.

Da braut sich etwas zusammen

Patschnass

Zum Glück sieht’s die Mutti nicht 😉

Da es sich aber mit nassen Füssen nicht wirklich gut wandern lässt, beschloss ich bei 10,6 km umzudrehen. Irgendwie wollte es auch nicht wirklich aufhören zu regnen. Zum Glück ging mehr wie nass nicht. Also hab ich für den Rückweg den Turbo eingeschaltet, um die letzten Kilometer auf die Uhr zu bekommen. Kurz vor Schluss hat es dann doch noch aufgehört zu regnen. Mit 53,23km in 10 h 09 Minuten habe ich den 3. Megamarsch beendet und mir auch noch Wir gehen weiter-Matador gesichert.

Schlumpf müsste man sein. Der ist nämlich trocken geblieben!

Fertig!

Jeder meiner Märsche verlief anders. Jeder meiner Märsche hat mir neue Seiten an mir gezeigt. Jeder meiner Märsche war einzigartig. Ich  freue mich riesig auf weitere Wanderungen/Märsche. Wie weit meine Füsse mich tragen werden, ich weiss es nicht. Aber auf jeden Fall bin ich an jedem einzelnen Tag dankbar, dass meine Beine trotz Lipödem mir dieses aktive Leben ermöglichen.
Nun aber noch ein Wort zu meinen virtuellen Wanderbuddys oder besser gesagt zu den MEGA-Schlümpfen:
Danke für die tolle gegenseitige Unterstützung. Ich bin stolz ein MEGA-Schlumpf zu sein. Es hat MEGA Spass gemacht, mit Euch virtuell zu wandern, gemeinsam zu leiden, zu kämpfen, dem Wetter  zu trotzen und zu finishen. Ich hoffe, dass wir uns im realen Leben irgendwann mal bei einem Megamarsch-Event treffen und eine große MEGA-Schlumpf-Sause veranstalten.
Passt auf Euch auf und bleibt gesund.
Bis bald,
Eure Yvonne