Das Wochenende rund um den Miami Marathon wurde von mir bereits am Donnerstag eingeläutet. Ich hatte mir den Freitag frei genommen, um mich ganz in Ruhe vorbereiten zu können. So hiess es Donnerstag nach der Arbeit also ganz entspannt zu Abend essen, nette Gespräche führen und mit dem Wissen, dass der nächste Tag frei ist, später als gewohnt ins Bett gehen.

Der Freitag war trotz frei klar durchstrukturiert. Nach dem Frühstück wurden die Wocheneinkäufe erledigt, die sonst immer samstags stattfinden. Im Anschluss daran stand der Besuch auf der Marathonmesse an. Mein Mann und ich waren zeitig dort, um die Startunterlagen abzuholen. Klar gab’s noch einen kleinen Bummel über die Messe, um schon mal ein wenig von der Stimmung aufzusaugen. Ich liebe die Atmosphäre auf diesen Messen. Läufer aus aller Herrenländer kommen zusammen und alle verbindet das Gleiche – das Laufen!

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Nach dem wir uns ein wenig umgeschaut hatten, ich meine Startunterlagen in der Tasche hatte, haben wir in einem kleinem Diner noch ganz entspannt zu Mittag gegessen, bevor es dann wieder nach Hause ging. Der Rest des Tages stand ganz im Zeichen von „Beine hoch und ausruhen“.

Samstag habe ich in aller Ruhe meine Laufsachen für den Marathon zusammen gepackt. Ich mache das gerne in Ruhe und gehe dann im Kopf auch eine Checkliste durch, die ich Punkt für Punkt abhake. Abends sind wir dann noch zum Flughafen und haben meine Cousine und ihre Freundin abgeholt, die für zwei Wochen bei uns Urlaub machen. Mit früh ins Bett war also nicht wirklich viel. Aber ich hatte die zwei Nächte zuvor gut geschlafen, so dass ich dennoch entspannt war. Gegen 21.30 Uhr ging es dann für mich ins Bett. An schlafen war allerdings nicht zu denken. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Dabei lief das Training gut und ich war bereit für die 42 km.

Sonntagmorgen klingelte um 2.30 Uhr der Wecker. Da ich sowieso wenig geschlafen hatte, war ich direkt beim ersten Klingeln wach. In Ruhe habe ich dann meinen Kaffee getrunken, einen Smoothie zubereitet und Zeitung gelesen. Ich mag die Ruhe am frühen Morgen und geniesse diese Momente total. Kurz vor dem Herzstillstand war ich allerdings, als um viertel nach Drei mein Telefon mir mitteilte, dass meine Uber-Vorbestellung gecancelt wurde. Warum auch immer! Also fix die App geöffnet, neue Fahrt vorbestellt, neues Zahlungsmittel ausgewählt und dann: Zahlungsmittel abgelehnt! Was war denn nun los? So langsam stieg etwas Panik in mir auf und von meiner Ruhe war nicht mehr viel übrig. Also der ganze Vorgang nochmal von vorn. App öffnen, Fahrt vorbestellen, Zahlungsmittel auswählen und zack: Bargeldzahlung in Ihrer Stadt nicht möglich! Es war wie verhext. War es ein Zeichen? Ich glaube nicht wirklich an sowas, von daher habe ich es einfach ein drittes Mal versucht. Und wie heisst es so schön bei uns im Norden: dreimal ist Bremer Recht! Es hat geklappt und so sass ich um 3.45 Uhr in dem Auto, dass mich zum Bayfront Park brachte. Dort angekommen habe ich mich direkt auf den Weg zum TeamFootworks (meine Laufgruppe) Zelt gemacht.

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Wie auch im letzten Jahr hatte Footworks einen großen Bereich angemietet, wo wir Läufer und deren Familien nett sitzen konnten und im Anschluß an den Lauf absolut gut verpflegt wurden. Überall wuselten Menschen rum und nach und nach kamen immer mehr Läufer in den Zielbereich. Kurz nach 5 Uhr wurde noch ein  Gruppenfoto gemacht

und dann ging es langsam Richtung Startblock. Meine Gruppe – die 2/1er – wartete jedoch noch auf eine Läuferin. Die hatte den Verkehr unterschätzt und steckte noch im Stau. So vergingen die Minuten und bei uns allen stieg langsam die Nervosität an. Um kurz nach halb sechs waren wir dann endlich vollständig und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Start.

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Das Rennen ging offiziell um 6 Uhr los. Wie es hier in Amerika üblich ist, wird vorweg die Nationalhymne gespielt. Das ist schon immer ein wenig emotional. Und wenn man in die Gesichter der Mitläufer schaut, sieht man Freude und Anspannung zu gleich. Nachdem die Eliteläufer also auf die Strecke gelassen wurden, ging es nach und nach für die weiteren Startblocks los. Amy (die zu spät ankam) und ich waren in Startblock I.

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Gegen 6.45 Uhr waren wir dann endlich an der Reihe. Als wir losliefen, wurde es langsam hell. Von der American Airlines Arena ging es für uns dann Richtung Miami Beach, vorbei am Kreuzfahrtterminal mit einem wunderschönen Sonnenaufgang. Diese Momente sind jedes Mal für mich magisch und einer der Gründe, warum ich das Laufen so liebe. In diesen kurzen Momenten scheint die Welt still zu stehen und ich kann einfach die Schönheit der Natur geniessen. Herrlich!

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Die ersten Meilen liefen wunderbar. Wir waren genau in unserem Zeitplan. Verpflegung hatte ich in Form meines Trinkrucksacks dabei, so dass ich ganz entspannt in meinem Rhythmus laufen konnte, ohne auf die zahlreichen Verpflegungsstationen warten zu müssen. Die Stimmung am Straßenrand war super. In Miami Beach waren zahlreiche Menschen bereits auf den Beinen, um uns Läufer zu unterstützen. Auch diverse Cheerleader-Gruppen waren dabei, die aber auch wirklich jeden angefeuert haben. Das war echt grandios.

Über den Venetian Causeway ging es dann zurück nach Miami Downtown. Dort hatte man wieder einen wunderbaren Blick auf die Skyline Miamis und an den Straßen standen Motorradfahrer, die ihre Beatbox aufdrehten und so musikalische Unterstützung boten.

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Der Laufrhythmus war gut und mittlerweile waren wir bei km 14. Wir liefen durch die Cheering-Zone von HOKA ONE. Die Musik war lauter, es regnete Konfetti – einfach Party pur. Diese Unterstützung entlang der Strecke ist einfach nur toll und pushed einen Läufer noch ein kleines bisschen. Bei km 16 spürte ich plötzlich rechts im hinteren Oberschenkel ein Ziehen. Bei jedem Schritt fühlte es sich an wie ein kleiner heftiger Nadelstich. Okay dachte ich mir, das laufe ich über die Distanz wieder raus. Ist vermutlich nur eine kurze Ermüdungsphase. So ging es also weiter und wir näherten uns der Halbmarathonmarke. Wir liefen durch Downtown Miami vorbei an Jazz- und Rockbands und ich habe diese freudige Aufregung entlang der Strecke genossen. Der Schmerz im Oberschenkel war immer noch da. So langsam fing mein Kopf an zu arbeiten und ich fragte mich, was ist realistisch? Mein Herz und mein Bauch sagten, klar schaffen wir die 42 km. Da habe ich monatelang drauf hintrainiert. Mein Verstand teilte oh Wunder diese Meinung nicht. Bei km 20 wurde die Strecke, die bis dahin für Halbmarathon und Marathon gleich war, geteilt. Die Halbmarathonis bogen links ab und die Marathonis liefen gerade aus weiter. Mir blieben noch ein paar hundert Meter, um zu überlegen, was ich jetzt tue. Vor mir war ein jüngerer Läufer, der offensichtlich Probleme hatte. Das lenkte mich von meiner eigenen Entscheidung erstmal ab. Ich fragte ihn, ob es ihm gut ginge, ob er vielleicht Salztabletten benötigte. Ich hatte ja für alle Fälle alles dabei. Denn mit den steigenden Temperaturen  muss man hier in Miami auch erstmal umgehen können. Bei dem hohen Flüssigkeitsverlust sind solche Salztabletten echt Gold wert. Der Läufer sagte nur, es ist alles ok, er sei nur platt, aber den Rest ins Ziel schaffe er jetzt auch noch und bedankte sich dafür, dass ich nachgefragt hatte. Für mich war diese Begegnung genau das, was ich brauchte, um meine Entscheidung zu treffen. Ich bog links ab. Ich wollte den Lauf beenden. Aber ich wollte ihn lächelnd beenden. Das Ziehen im Oberschenkel war immer noch da und ich hätte keine Ahnung gehabt, wie sich das nach zehn weiteren Kilometern entwickelt. Am Ende stünde ich möglicherweise bei Kilometer 30 mit schmerzverzerrtem Gesicht und müsste das Rennen aufgeben. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Und so bin ich lächelnd über die Ziellinie gelaufen, habe einen weiteren Halbmarathon erfolgreich beendet.

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War es eine Niederlage, dass ich den Marathon nicht geschafft habe? Mit Sicherheit nicht. Dieser Lauf war ein Sieg. Ein Sieg des Verstands mit Blick auf die eigene Gesundheit. Nun freue ich mich auf die nächsten Ziele, die da heißen Megamarsch in Bremen im Juni und New York Marathon im November.

Die Vorbereitung startet jetzt und ich weiss, meine Beine werden meine Verrücktheit schon mitmachen. Und dafür bin ich jeden Tag dankbar!

Viele Grüße,

Eure Yvonne